Wenn einer eine Reise tut

Der Sommer neigt sich dem Ende zu und so auch eine Zeit voller Reisen und vieler schöner Momente mit unseren mexikanischen Gästen. Von Mitte Juni bis Mitte August hatten wir Besuch von einem guten Freund und unserer Nichte aus Mexiko. Für beide war es die erste Reise außerhalb Mexikos und für insere Nichte auch das erste Mal fliegen – und dann war es gleich so eine große Reise und so ein langer Flug!

Wir haben ca. 1 Monat bei uns in der Gegend verbracht mit Dingen, die für mich ganz normal sind, für die beiden aber etwas Besonderes, zum Beispiel Fahrradtouren, Erdbeeren und Himbeeren selber pflücken, Ausflüge an die Nordsee oder auf die Kieler Woche und spannende Aktivitäten wie klettern im Hochseilgarten oder für ein paar Stunden „blind sein“ im Dialog im Dunkeln in Hamburg. Es war schön zu sehen, wie gut den beiden meine Heimat gefiel und wie sie die Ruhe und Ordnung in Deutschland genossen. Alles schien ihnen sehr „behütet“ und „aufgeräumt“ und sie waren begeistert, wie herzlich sie in der gesamten deutschen Familie aufgenommen wurden. So verbrachten wir unsere Tage miteinander mit Ausflügen und Kuchen essen, am Strand und auf dem Fahrrad – wie es sich für einen norddeutschen Sommer eben gehört 😉 Auf der Kieler Woche fanden wir sogar ein Zelt mit Latino Musik und da unsere Gäste das Tanzen lieben war der Abend somit ein voller Erfolg 😉

Schließlich begannen wir unsere Europareise mit unseren Gästen. Unsere Route führte uns von Norddeutschland nach Berlin, von dort mit dem Flugzeug nach Budapest und nach Italien. In Italien entdeckten wir viele Orte per Interrail und dann ging es noch weiter nach Paris und Amsterdam für die eine Hälfte von uns (4 Leute), die andere reiste über die Schweiz zurück nach Deutschland (3 Leute). Ja, genau – wir waren insgesamt zu siebt unterwegs! Ich sage euch ganz ehrlich: Es war eine tolle Reise, aber es war manchmal auch echt anstrengend, wenn so viele verschiedene Vorstellungen aufeinandertreffen. Jeder hat andere Vorzüge was Essen und Tagesplanung angeht. So mussten wir uns erstmal als Gruppe zusammenfinden, Aufgaben verteilen und uns natürlich ständig austauschen – über unsere Pläne und Mägen, denn wenn der eine schon fast stirbt vor Hunger, ist der andere vielleicht noch gar nicht hungrig und jeder weiß ja, dass bei leerem Magen die schlechte Laune nicht weit ist. Allgemein denke ich, ist es wichtig, sich zu besprechen, was man machen oder sehen möchte. Wenn die Ideen da sehr auseinandergehen ist es auch keine Schande, sich an einem Tag mal getrennt auf den Weg zu machen. Beispielsweise haben wir das ab und an am Abend gemacht, wenn einige von uns schon müde waren und die anderen noch ein bisschen den Ort entdecken wollten. Auch ist es gut, sich die Organisation aufzuteilen, also sowohl die Vorarbeit (in unserem Fall Flüge, Interrail und Unterkünfte buchen) als auch die Sachen, die vor Ort gemacht werden müssen (in unserem Fall einkaufen, weil wir immer in airbnbs/ Ferienwohnungen untergebracht waren, Touristeninformation an den jeweiligen Orten herausfinden etc.). Dabei sollte man natürlich auch auf die Sprache achten, denn bei uns war es zum Beispiel so, dass es den Spanischsprechenden unter uns leichter fiel, Italienisch zu verstehen, als denjenigen, die kein Spanisch sprechen. Dann mussten wir in unserem Fall in einigen Situationen auch bedenken, dass wir aus verschiedenen Kulturen stammen (zum Beispiel war den Mexikanern bei Abfahrtszeiten manchmal nicht klar, dass das keine ungefähre Angabe ist, sondern der Zug weg ist, wenn wir eine Minute zu spät sind), verschieden alt sind und daher unterschiedliche Verantwortungen übernehmen (einkaufen, planen usw.) und außerdem unterschiedlich viel Erfahrung mit dem Reisen haben. Schließlich muss man auch das Geld bedenken, denn auch, wenn man sich als Gruppe auf ein Ziel und eine gewisse Art zu Reisen generell im Vorfeld einigt, sollte man bedenken, dass doch alle unterschiedliche Budgets haben und der eine vielleicht lieber auf ein Essen in einem Restaurant verzichtet um den Eintritt zu einer Sehenswürdigkeit zu bezahlen, während ein anderer nicht über Geld nachdenken muss und es sich gut gehen lassen will.

Wenn ihr all diese Dinge bedenkt und ansprecht, wird es bestimmt eine gute Erfahrung, mit anderen zu reisen 😉

Auf dieser Reise stellte ich auch wieder fest, dass das Gute oft so nah liegt. In den letzten Jahren wollte ich immer weiter weg und vor allem Orte in Mexiko und auf dem ganzen amerikanischen Kontinent erkunden. Europa schien mir viel zu nah an Deutschland, an Zuhause. Aber Europa ist so unglaublich vielfältig und toll zum Reisen durch die hohe Sicherheit und kurzen Wege! Ungarn ist eine ganz andere Welt als Italien oder die Niederlande und all das ist nur einen Katzensprung von Deutschland entfernt! Es muss ja auch nicht gleich eine wochenlange Europareise sein, aber es gibt so viele Ziele innerhalb Europas, die sich mit einem verlängerten Wochenende entdecken lassen!

Mich persönlich hat unsere Europareise (übrigens meine zweite Europareise, die erste war vor 5 Jahren mit Gus) also weitergebracht: Ich habe gelernt, Europa wieder mehr zu schätzen, habe gelernt, mit einer Gruppe zu reisen und wieder einmal festgestellt, wie viel Spaß es mir macht, unterwegs zu sein. Die kommenden zwei Jahre in Deutschland möchte ich definitiv nutzen, um mit Gus noch mehr Ecken Europas zu entdecken!

Meine mexikanischen Macken

Seit genau einer Woche bin ich wieder in Deutschland, in meiner Heimat Schleswig-Holstein. Ich habe schon viele liebe Menschen wiedergesehen und genieße meine Heimat in vollen Zügen. Sie zeigt sich aber auch von ihrer besten Seite mit Sonne, Rhabarber und blühenden Bäumen und Blumen überall! Langsam werden die Rapsfelder gelb und ich erfreue mich an den (im Vergleich zu Mexiko) längeren Tagen, dem Fahrradfahren und dem geordneten Leben. Beim “Wiedereinleben” in meine Heimat sind mir ein paar “Macken” aufgefallen, die ich aus Mexiko mitgebracht habe:

Mexikanisches Straßenverhalten: Neulich bin ich das erste Mal hier Auto gefahren. Ich bin bevor ich nach Mexiko gegangen bin nicht oft Auto gefahren und war oft unsicher in Situationen auf der Straße, beim Einparken und so weiter. Diesbezüglich habe ich in Mexiko viel gelernt und viel Fahrpraxis bekommen, allerdings habe ich mir damit auch ein bisschen das mexikanische Fahrverhalten angewöhnt. So muss ich mich erst wieder an Fahrradüberwege, Geschwindigkeitsbegrenzungen und das im Vergleich zu Mexiko nette Fahrverhalten gewöhnen, denn dort muss man sich als Autofahrer vieles erkämpfen und hierzulande wird man dagegen einfach mal vorgelassen. Und klar definierte Verkehrsregeln gibt es auch – wie schön!

Schlösser: In Mexiko ist nicht immer ganz klar, wie man Türen aufschließt, mal im Uhrzeigersinn und mal entgegengesetzt, unabhängig davon wie die Tür und das Schloss eingebaut sind. Hier in Deutschland dreht man dagegen eigentlich immer den Schlüssel von der Tür weg um aufzuschließen und zur Tür hin um sie zuzuschließen. Nun stellt euch mal vor, wie ich mit meinem Schlüssel vor unserer Tür stehe, ihn erstmal falschherum reinstecken will und dann auch noch falschherum “auf”schließe….

Zeitmanagement: Man könnte auch sagen Pünktlichkeit 🙂 Ja, ich weiß, dass es ein Klischee ist, aber es ist wahr! Ich überlege mir, um wie viel Uhr ich aus dem Haus gehen will, um pünktlich zu sein und dann kommt doch alles anders… Wir hier in Deutschland leben viel mehr nach konkreten Uhrzeiten, während man in Mexiko viel öfter sagen kann “Ich komme später vorbei” oder “Das mache ich gleich” und man muss dabei “später” und “gleich” nicht genauer definieren, wenn es morgen wird ist das auch ok. Dieses “In-den-Tag-hinein-leben” fehlt mir schon ein bisschen, aber ich werde es mir auch bewahren 😉

Kleidung: Zum Beispiel beim Tragen von Sommerkleidern gibt es da eine fiese Ironie: In Mexiko ist die Temperatur angemessen, um sie zu tragen, aber die Gesellschaft ist nicht angemessen, also einem wird hinterhergepfiffen, Mädchen werden teilweise angequatscht oder sogar entführt. Man zieht sich lieber nicht so sommerlich an um nicht aufzufallen. Und hier in Deutschland, wo man Sommerkleider ohne Probleme tragen könnte (ohne dabei aufzufallen) ist es oft zu kalt dafür! Zumindest für mich, denn wenn man sich erstmal an die mexikanische Sonne gewöhnt hat, ist das norddeutsche Wetter nicht ganz einfach…

Sprache: Ich habe die letzten 1,5 Jahre nur Spanisch im Alltag gesprochen außer beim Skypen mit meiner Familie. Und ja, dass muss ich erstmal aus dem Kopf bekommen und auf “Deutsch” umstellen. Wenn ich mich konzentriere, ist das kein Problem, aber ich habe manchmal Wortfindungsschwierigkeiten oder stottere vor mir her, weil der Satzbau in meinem Kopf keinen Sinn ergibt und es passiert mir tatsächlich auch, dass ich spontane Ausrufe oder Reaktionen auf Spanisch sage.

Ich denke, das wichtigste sowohl bei meinen mexikanischen Macken als auch bei meinen deutschen Eigenheiten (Gus nennt mich manchmal “zu deutsch”) ist, dass ich weiß, wann ich welche Seite mehr nutzen sollte. Ich freue mich, wenn ich manche Dinge auf mexikanische Weise gelassener sehen kann als meine Eltern und auch, wenn dank meiner Organisation etwas gut klappt, was Gus als “da müssen wir nichts organisieren” abgestempelt hatte 🙂 Bei so vielen kulturellen Eigenschaften, die es zusammengenommen in Deutschland und Mexiko gibt, ist es eben am besten, wenn ich mir von beiden Seiten das Beste aussuche 🙂