Día de Muertos – Tag der Toten

 

Es ist Anfang November in Mexiko. Das bedeutet, es ist Zeit für ein ganz besonderes Ereignis: Día de Muertos. So wie in Deutschland zu Allerheiligen werden auch hier in Mexiko in den ersten Tagen des Novembers die Toten gefeiert und es wird an sie erinnert. Allerdings geschieht das hier auf ganz andere Weise.

Die Feierlichkeiten kündigen sich schon einige Wochen vorher an – ab Oktober kann man in Supermärkten Halloweendekoration kaufen und in Bäckereien Pan de Muertos (Brot der Toten) erwerben. In den papelerías kann man Papel picado besorgen (buntes Papier mit Scherenschnitten) und an Straßenständen werden Cempasúchil verkauft. Cempasúchil ist eine Blume, die bereits vor Ankunft der Spanier weit verbreitet war bei den indigenen Völkern in Mittelamerika. Die Blume, die auf Deutsch “Aufrechte Studentenblume” heißt, blüht nur im Oktober und November, sie ist orange oder gelb und wird zur Dekorierung der Straßen und Altäre anlässlich des Día de Muertos verwendet.

Die Feierlichkeiten dauern dann im Grunde 3 Tage: am 31. Oktober werden die US-amerikanischen Halloweentraditionen übernommen, Kinder verkleiden sich und ziehen um die Häuser um Süßigkeiten zu erbeten. Das Gleiche tun sie übrigens auch am 1. und 2. November – man muss die Gelegenheit ja ausnutzen 😉 Am 1. November ist dann generell der Tag der Verstorbenen und zwar der verstorbenen Kinder und am 2. November der Erwachsenen. Anlässlich dieser beiden Tage sind in der Stadt und in vielen Häusern Altäre aufgebaut mit den Bildern der Verstorbenen, kleinen persönlichen Artikeln und ihrem Lieblingsessen. Denn man glaubt, dass die Seelen der Verstorbenen in diesen Tagen zur Erde zurückkehren und ihre Familien besuchen. Typisch für die Altäre ist das Pan de Muertos, Cempasúchil, kleine, süße Schädel aus Zucker oder Schokolade, Kerzen und Papel picado.

Das Ganze ist keinesfalls ein trauriges Fest – in Deutschland und generell Mitteleuropa ist der Tot ja allgemein ein ganz schwieriges, stilles Thema: man schweigt, darf nicht lachend über einen Friedhof laufen, hat Respekt vor den Toten und generell ist das Thema Tod ein sehr persönliches. Hier verwandelt sich am 1. November der Friedhof in ein Ort des Beisammenseins – Familien dekorieren die Gräber ihrer Angehörigen mit Cempasúchil, es wird auf dem Grabstein gepicknickt und ausgiebig Tequila getrunken während man sich Geschichten der verstorbenen Person erzählt und sich gemeinsam an sie erinnert.

Außerdem verkleiden und bemalen sich am 1. und 2. November viele Menschen entsprechend des Anlasses: als Skelette, Catrinas (ein Skelett in Form einer eleganten Dame), Hexen usw. So wurde ich dieses Jahr zum Beispiel von einem Zombie an der Supermarktkasse bedient, war beim Sport von Skeletten umgeben und wurde von einer Hexe zu meinem Tisch im Restaurant geführt. Es gibt zwar auch Umzüge wo richtig aufwendige Catrinakostüme gezeigt werden, aber das Tolle ist eigentlich, dass es etwas selbstverständliches ist, sich am Día de Muertos zu verkleiden: Man verabredet sich nicht erst zu einer “Halloweenparty”, sondern es verkleiden oder schminken sich einfach alle, die Lust dazu haben – egal ob auf der Straße, beim Sport, bei der Arbeit oder nur bei sich zuhause. Der Tag der Toten ist eben eine mexikanische Tradition und die wird in jeder Hinsicht gepflegt.

 

Willkommen in der Zivilisation

Nun habe ich schon seit mehreren Wochen keinen Eintrag mehr geschrieben. Einer der Gründe dafür war eine kleine Reise nach Kanada, über die ich heute ein bisschen erzählen möchte:

Seitdem Kanada die Visumspflicht für Mexikaner vor einem guten Jahr abgeschafft hat und danach Trump mit vielen Mexikofeindlichen Worten und Gesten dafür sorgte, dass viele Mexikaner die USA nicht mehr als Reisemöglichkeit sehen, wird Kanada als Reiseziel für Mexikaner zunehmend beliebter. Für die Einreise in die USA benötigen Mexikaner ein Visum (auch wenn sie nur als Tourist einreisen wollen) was man nur nach einem aufwendigen Verfahren bekommt. Um nach Kanada einzureisen musste ich für sowohl Gus als auch mich nur ein paar Daten im Internet angeben, pro Person ca. 10 Euro bezahlen und fertig – innerhalb von Minuten hatten wir per E-Mail die Bestätigung, dass unsere Einreise angenommen war.

Als wir dann einige Tage später in Vancouver gelandet waren, fiel uns sofort die Ordnung auf, die im ganzen Land herrscht und die wir aus Mexiko so keinesfalls gewöhnt sind. Beim Verlassen des Flughafengebäudes mussten wir einen Zebrastreifen überqueren, um auf der anderen Seite den öffentlichen Personennahverkehr zu nehmen. Wir sehen, dass zwei Autos angefahren kommen und bleiben aus Gewohnheit stehen, denn in Mexiko kann man lange darauf warten, als Fußgänger von einem Auto vorbeigelassen zu werden. Die beiden Autos bremsen und halten schließlich vor dem Zebrastreifen an – Gus und ich schauen uns verdutzt an, grinsen und überqueren dann uns bedankend und lachend die Straße. Gus meint, dass die Autofahrer auch denken müssen, wir seien verrückt, wenn wir uns so über einen Zebrastreifen und ein anhaltendes Auto freuen. Wir haben eben ganz vergessen, dass Kanada ein ‘zivilisiertes’ Land ist und freuen uns, mal wieder in einem geordneteren Land zu sein als das wunderschöne aber chaotische Mexiko. In den nächsten Tagen lernen wir dann schnell, dass Kanada sogar noch geordneter ist als zum Beispiel Deutschland: Wir warten an einer Bushaltestelle auf den Bus, wir sind die ersten wartenden Passagiere. Da wir sehen, dass der Bus erst in ca. 10 Minuten kommt und wir vom vielen Laufen durch die Stadt müde sind, setzen wir uns auf eine Bank, die neben der Bushaltestellte steht. Neben uns ist noch eine Bank und nach wenigen Minuten setzen sich ein paar Leute darauf. Als der Bus dann kommt, stellen wir erstaunt fest, dass sich eine ordentliche Schlange gebildet hat, die hinter der anderen Bank beginnt. Wir wurden also als sitzende Personen ohne es zu merken in die Schlange integriert und es wird gänzlich respektiert, wer zuerst da war. Gus sagte, Kanada sei das geordnetste und zivilisierteste Land in dem er je gewesen sei.

Es ist wirklich schön, mal ein paar Tage Ordnung zu erleben: Eines Morgens ist der Bus recht voll und wir erleben, wie der Busfahrer an jeder Haltestelle nur noch ein bis zwei Leute mitnimmt, damit der Bus nicht zu voll wird und gleichzeitig die Verteilung gerecht ist und er nicht an zahlreichen Bushaltestellen einfach vorbeirauscht (wie es in Mexiko der Fall ist wenn der Bus voll ist). Als wir uns für ein paar Tage ein Auto mieten sind wir entzückt von den guten Highways (ohne Schlaglöcher) und den Straßen generell (ohne Bremsschwellen). Man hält sich an Verkehrsregeln, Geschwindigkeitsbegrenzungen und wir können sogar ohne Sorge unsere Wertsachen im Auto lassen! In Mexiko ist das Diebstahlrisiko viel zu hoch, die Geschwindigkeitsbegrenzungen interessieren die wenigsten und Verkehrsregeln sind oftmals eher Empfehlungen.  Nach ein paar Stunden Autofahren sagt Gus zu mir: “Das ist richtig langweilig so zu fahren – 110 km/h ohne Schlaglöcher und ohne viel Verkehr.”

Kanada ist ein wunderschönes Land – landschaftlich beeindruckend mit unheimlich netten Menschen und einer bunten Bevölkerung. Besonders die Rocky Mountains haben uns beeindruckt, diese spitzen Felsen mit Gletschern die so unbezwingbar aussehen und einfach bildschöne Landschaften entworfen haben. Auch Vancouver – von Bergen und Meer umgeben ist als grüne Großstadt wirklich eine Reise wert.

Auch war es toll, mal wieder Jahreszeiten zu erleben: Während unserer 10 Tage in Kanada haben wir drei Jahreszeiten durchlebt. Am Anfang in Vancouver war es mit bis zu 25°C noch kanadischer Sommer, auf dem Weg in die Rockies haben wir einen goldenen Herbst erlebt mit wunderbar bunten Blättern und an unserem letzten Tag in Calgary hat es geschneit! Das war wirklich schön, aber genau so schön war es, dass wir nach einem Tag Schnee wieder in die mexikanische Sonne fahren konnten 🙂

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“Och nee, Tortilla hatte ich gestern schon”

Schon seit ein paar Wochen schiebe ich dieses Thema vor mich her und doch führt ja kein Weg an ihm vorbei: Mexikanisches Essen. Zu diesem Thema kann ich wahrscheinlich drei Blogeinträge schreiben und mexikanisches Essen wäre als Gesprächsthema sicher ein abendfüllendes Programm. Daher werde ich mich heute auf die Tortilla beschränken, das neben Chili wahrscheinlich typischste Kennzeichen der mexikanischen Küche. Die Tortilla ist ein gebackener Fladen aus Maismehl. Es gibt sie auch aus Weizenmehl, aber in dieser Form ist sie nicht so wandelbar und gehört so wohl auch eher zur Tex-Mex Küche. Also die für Mexiko typische Tortilla ist aus Maismehl. Sie kommt in verschiedenen Formen, Farben und Gröβen daher,  wird gefüllt, frittiert und in Soβe gebadet:

Tortillas : Einfache Tortillas werden warm gemacht generell zu jedem Essen gereicht.

Tacos : Wahrscheinlich Mexikos berühmtestes Essen: Tacos sind kleine, dünne Tortillas, von denen zwei oder drei übereinander gelegt werden. In die Mitte kommt Fleisch mit Zwiebeln, Koriander und Ananas. Einfach die Tacos rechts und links hochklappen und ab in den Mund.

Quesadillas : Gröβer und etwas dicker als Tacos werden sie mit Käse und bei Bedarf mit Gemüse wie Kartoffel (die zählen in Mexiko zu Gemüse), Pilzen (vor allem Champignons oder Huitlacoche) oder der Zucchiniblüte (Flor de calabaza) gefüllt. Die Quesadilla einmal in der Mitte ‘falten’, warten bis der Käse zerlaufen ist und fertig.

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(aufgeklappte Quesadillas)

Enchiladas : Während man Tacos und Quesadillas generell pro Stück bestellt und je nach Hunger die Anzahl angepasst wird, ist Enchiladas ein komplettes Gericht. Meist liegen 3 aufgerollte, mit Hühnchen gefüllte Tortillas auf einem Teller nebeneinander. Sie schwimmen in Salsa (roter oder grüner scharfer Soβe aus Chili) und haben oben drauf  Blattsalat und Sahne.

Enchiladas suizas : Das gleiche wie Enchiladas, nur sind sie noch mit Käse überbacken.

Enfrijoladas : Mit Käse oder Fleisch gefüllte Tortillas, aufgerollt oder zusammengeklappt und mit Bohnenmus bedeckt. Entomatadas sind das gleiche nur in Tomatensoβe schwimmend.

Gorditas : Kleinere, dickere Tortillas, die nach dem Vorbacken in der Mitte aufgeschnitten und gefüllt werden – mit Fleisch, Gemüse, Käse oder Ei zum Beispiel. Danach werden sie gefüllt noch ein wenig weiter gebacken.

Sopes : Während bei allen bisherigen Gerichten die Tortillas in irgendeiner Art und Weise gefüllt werden, passiert das beim Sope nicht. Der Sope ist eine recht dicke, kleine Tortilla mit einem breiten Rand. Oben auf die Tortilla werden Käse, Bohnen, Salat und Sahne getürmt.

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Chilaquiles : In Dreiecke geschnittene, gebackene (harte) Tortillastücke, die in Salsa gebadet werden und mit Bohnen und Fleisch oder Ei serviert werden. Das ist vor allem ein Frühstücksgericht.

Totopos : Dreieckige, gebackene Tortillastücke (hart) mit Salz, die man so knabbert oder zum Beispiel mit Guacamole zusammen isst. Der Totopo ist in diesem Fall sowas wie ein Cracker, also das Transportmittel des Guacamole-Dips zum Mund.

Nachos : Totopos mit Käse überbacken, oft auch mit Guacamole, Hackfleisch oder Pico de Gallo (Tomaten- Zwiebel-Salat).

Tostadas : Gebackene (harte) Tortillas, die man generell mit etwas kaltem isst und oft mit Meeresfrüchten wie Thunfischsalat, Ceviche oder Shrimp-Cocktail (Coctél de Camarón).

Huarache : Wörtlich bedeutet dies “Sandale”, denn die Form dieses Gerichts erinnert sehr an eine Schuhsohle. Es handelt sich um einen länglichen Maisfladen, der mit Bohnen, Fleisch, Käse und Nopal (kleingeschnittenes Kaktusblatt) bedeckt ist.

Von all diesen Gerichten lassen sich Gorditas und Quesadillas auch wunderbar frittieren. In Mexiko gibt es unzählige Maissorten, unter anderem auch blauen oder schwarzen Mais. Das führt dazu, dass es eben auch schwarze oder blaue Tortillas, Gorditas oder Quesadillas gibt. Ich erinnere mich gut daran, als mein Stiefvater bei einem Essen die Tortilladose öffnete: Er sah die blauen Tortillas, schloss die Dose wieder, schüttelte den Kopf und öffnete sie erneut, in der Hoffnung, er habe sich das blaue Lebensmittel nur eingebildet. Ein blaues Lebensmittel ist für uns Mitteleuropäer nunmal mit einigen wenigen Ausnahmen undenkbar und meistens ein Zeichen dafür, dass das Essen nicht mehr gut ist…

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Ihr seht: die Tortilla ist für die mexikanische Küche essenziell.

Wenn man also so denkt, wie eine Freundin von mir, die, als ich ihr erklärte, was auf der Speisekarte stand, sagte: “Och nee, Tortillas hatte ich gestern schon”, wird man es in Mexiko schwierig haben, etwas zu essen zu finden.

Es gibt viele Mexikaner, die tagtäglich ein oder mehrmals Tortilla essen und sich ein Leben ohne Tortilla überhaupt nicht vorstellen können. Als ich ihm mal erzählte, dass es in Deutschland so gut wie keine Tortillas gibt, fragte mein Schwager entsetzt: “Ihr habt keine Tortillas?? Aber was esst ihr denn dann???”

Tja, ich schätze, was in Mexiko die Tortilla, ist in Deutschland das Brot 🙂

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Ausgeraubt

Am vergangenen Wochenende war ich auf einem Ultimate Frisbee Turnier in San Luis Potosí. Das Turnier ging ueber Samstag und Sonntag, also mit einer Übernachtung. Als wir am Samstag den Spieltag beendet hatten, fuhren wir zu Costco, um uns in der Food-Abteilung Pizza und Leckereien zu gönnen nach so viel Sport an einem heiβen Tag. Als wir zum Auto zurückkehrten, welches wir auf dem ‘bewachten’ Parkplatz von Costco abgestellt hatten, erwartete uns eine böse Überraschung: Das Fenster der linken Rückbank war eingeschlagen, die Rückbank umgeklappt und alle unsere Sachen waren raus aus dem Kofferraum! Wir wandten uns sofort an die Aufsicht des Parkplatzes und riefen die Polizei. Diese konnten uns aber beide überhaupt nicht weiterhelfen – der Parkplatz ist zwar videoüberwacht, aber ohne einen richterlichen Beschluss dürfen weder wir noch die Wächter die Videos einsehen. Die Polizei erklärte uns, wie kompliziert es wäre, eine Anzeige zu erstatten: Wir müssten ständig nach San Luis kommen fuer die Papiere, denn so ein Verfahren von einem anderen Bundesstaat aus zu verfolgen, ginge nicht. Die Polizei erklärte uns auch, wie solche Diebe vorgehen: Sie schauen nicht mal ins Auto, sondern haben ein Gerät, dass elektronische Geräte aufspürt. Sie gehen damit also an den Autos, die gerade gekommen sind, vorbei und räumen es dann blitzschnell aus, während die Insassen vielleicht noch nicht einmal einen Einkaufswagen besorgt haben.

Was mich an der ganzen Sache wirklich geärgert hat war, dass die Polizei uns nicht helfen konnte und, dass die Diebe fast nur Dinge geklaut haben, die keinen objektiven Wert haben oder womit sie nichts anfangen werden können, denn wir hatten hauptsächlich natürlich Sportsachen und persönliche Dinge zum Übernachten dabei. Mich dagegen machte der Verlust dieser Dinge wirklich traurig, denn ich passe immer gut auf meine Sachen auf und viele Kleinigkeiten verbinde ich mit Erinnerungen – so ist mir zum Beispiel ein T-Shirt aus Costa Rica abhanden gekommen, ein Tuch, was zu Beginn unserer Beziehung vom Besitz meines Mannes in meinen eigenen übergegangen ist und mich seitdem überall hin begleitet und ein Buff, den mir mein Patenonkel vor nun schon 10 Jahren geschenkt hat.

Und dann ist es natürlich einfach nervig, alles neu kaufen zu müssen, was in meinem Rucksack und meiner Reisetasche war. Inzwischen habe ich mich aber damit abgefunden und versuche das Gute an all dem zu sehen – nachher kann ich zum Beispiel meine neue Brille abholen.

Bei dem ganzen Vorfall ist mir aufgefallen, wie ‘normal’ das ganze für meine beteiligten mexikanischen Mannschaftskollegen schien. Das machte mich traurig, denn Unsicherheit sollte wirklich nichts Normales sein. Und ja – die Sicherheitslage innerhalb Mexikos ist sehr unterschiedlich und San Luis gilt als gefährlicher als zum Beispiel Querétaro. Aber generell sprechen viele Leute davon, dass es im ganzen Land über die letzten Jahre und Jahrzehnte gesehen, unsicherer wird. Und das, obwohl unheimlich viele Vorfälle noch nicht einmal an die Öffentlichkeit kommen. Die Unsicherheit ist eben Teil des Lebens in Mexiko und etwas, womit man sich arrangieren muss. So lassen auch die meiβten Mexikaner nicht zu, dass die fehlende Sicherheit ihnen das Leben in irgendeiner Form einschränkt. Man sagt ja, der Mensch ist ein Gewohnheitstier und das gilt eben auch hier: Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, dass wir bevor wir irgendwo hinfahren, uns über die Sicherheitslage informieren, dass ich nicht nachts alleine auf der Straβe unterwegs bin oder man eben gut auf seine Sachen aufpassen muss. Wie sang schon Roger Cicero: “Man gewöhnt sich an alles – aber schöner war’s ohne.”

Als ich Gus nach dem Vorfall auf dem Parkplatz in San Luis anrief, fragte er sofort, ob es uns denn allen gut ging und ja – das geht es zum Glück und Gus sagte, das sei doch das wichtigste.

Ich lebe in einem Schwellenland…

Derzeit ist hier in Mexiko Regenzeit. Das bedeutet nicht, dass es den ganzen Tag regnet, aber schon, dass es oft am Nachmittag oder Abend heftige Schauer gibt. Das an sich ist für mich kein Problem, schlieβlich bin ich norddeutsches Schietwetter gewöhnt. Hier in Mexiko ist allerdings das groβe Problem, dass das System zum Abfluss von Regenwasser und der Schutz gegen Regen generell in der Stadt und in vielen Häusern eine Katastrophe ist. Heftiger Regen bedeutet also oft, dass die Straβen überfluten und das Wasser nicht abflieβt, dass die Abwasserkanäle so voll laufen, dass das Wasser aus den Gullideckeln raussprudelt und durch das Abwasser ganze Nachbarschaften unangenehm riechen, dass das Wasser ins Haus eindringt und dass man um die Straβe zu überqueren, eigentlich ein Boot dabei haben müsste.

 

Vor kurzem ist im Haus meiner Schwiegermutter ein Wasserschaden entstanden: Es hat heftig geregnet und der kleine Damm direkt vor ihrem Haus, der einen etwas höher gelegenen Sportplatz begrenzt, ist gebrochen. Im Wohnzimmer stand darauf hin 20 cm hoch das Wasser. Das alleine kann man vielleicht noch als Pech durchgehen lassen, aber wenn ich dann höre, dass das quasi jedes Jahr passiert und die Gemeinde die Abgrenzung nicht verstärkt, muss ich meinem Vater recht geben wenn er mich ab und zu mit den Worten “Du lebst in einem Entwicklungsland” neckt.

Mexiko ist so ganz anders als Deutschland – wirtschaftlich, kulturell, historisch, gesellschaftlich….  Ja, und Mexiko ist eben auch ein Schwellenland und keine Industrienation. Das ist Teil des Gesamtpakets und so muss man in Mexiko unter anderem damit rechnen, dass plötzlich der Strom ausfällt oder kein Tropfen Wasser aus dem Hahn kommt.

Generell gibt es viele Bakterien und Erreger – in der Luft, im Wasser usw. Ich muss also immer aufpassen, dass ich saubere Hände habe, mein Essen sauber ist und ich mir auch sonst wie keine Krankheiten hole. Noch nie war ich in meinem Leben so oft von Problemen mit dem Magen betroffen wie in Mexiko, denn es kommt eben doch vor, dass mal an einem Straβenstand oder in einem Restaurant das Essen nicht sauber ist.

Im Schwellenland Mexiko zu leben bedeutet, dass man Leitungswasser nicht trinken kann, dass Salat und Erdbeeren vor dem Verzehr desinfiziert werden müssen, dass Leute für die kürzesten Wege das Auto nehmen, und dass einem Cucarachas (Küchenschaben) und Skorpione gelegentlich über den Weg laufen.

Die Abgase von manchen Autos, vor allem von Bussen oder LKWs sind absolut kriminell und man erschrickt gleichsam über die schwarze Wolke wie über den knatternden Auspuff. So etwas wie einen TÜV gibt es nicht und Autos zu sehen, die eigentlich schon nicht mehr verkehrstüchtig sind, ist normal. Auch kleinere Macken der Autos wie abgefahrene Seitenspiegel oder eine fehlende Motorhaube (vor allem bei VW Käfern) werden einfach so hingenommen.

Vor ein paar Monaten sind wir abends mit dem Auto von Aculco zurück nach Querétaro gefahren, was eine gute Stunde Strecke ist. Auf dem ersten Teil der Strecke, einer Art Bundesstraβe, waren plötzlich unheimlich viele Schlaglöcher in der Straβe und so zerfetzte unser Reifen in einem dieser Löcher. Wir hielten an, kramten alles aus dem Kofferraum raus, wechselten den Reifen und fuhren weiter. Wenige Kilometer weiter war nochmal so ein Krater und nun war auch der Reservereifen kaputt. Glück im Unglück: Wir waren nur wenige Meter zuvor an einer Tankstelle vorbeigefahren. Wir rollten also zurück zur Tankstelle und riefen dort den Abschleppwagen an. Das ganze passierte um ca. 21.00 Uhr. Um 22.30 Uhr kam ein Freund vorbei, der die anderen drei Insassen unseres Wagens abholte, denn im Abschleppwagen können nur zwei Menschen mitfahren. Gus und ich warteten also weiterhin auf den Abschleppwagen, der uns um 21.00 Uhr gesagt hatte, es dauere maximal 3 h. Um 1:30 Uhr war er endlich da…

Laut Auswärtigem Amt ist Mexiko ein “fortgeschrittenes Schwellenland” (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Mexiko/Wirtschaft_node.html) – die mexikanische Wirtschaft wächst rasant an und die gesellschaftlichen Strukturen verändern sich schnell. Wenn Mexiko lernt, seine Ressourcen mit der richtigen Technologie optimal zu nutzen und gegen die Korruption vorzugehen, hat es unheimlich viel Potenzial, eine starke Wirtschaftsmacht zu werden. Aber im Moment ist es noch ein weiter Weg dorthin. Vor allem muss der Staat die Gewinne, die er zum Beispiel durch eine starke Wirtschaft erzielt, lernen, so einzusetzen, dass sie der Bevölkerung zugute kommen.

 

 

 

 

Korruption selbst gemacht

Ich habe während meines Studiums mal versucht, eine wissenschaftliche Arbeit über Korruption zu schreiben und bin an Hand der Dimension des Themas und den vielen verschiedenen “Niveaus” von Korruption schlichtweg gescheitert. Inzwischen habe ich aber verschiedene korrupte Situationen in Mexiko selber erfahren und möchte nun zumindest hier darüber schreiben.

Der Begriff der Korruption ist sehr komplex und “so undurchsichtig wie die Strukturen, in denen Korruption gedeiht: Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil. Ob Bestechung oder Bestechlichkeit im internationalen Geschäftsverkehr oder im eigenen Land, ob Käuflichkeit in der Politik oder der Versuch, durch Schmiergelder Vorteile zu erlangen – Korruption verursacht nicht nur materielle Schäden, sondern untergräbt auch das Fundament einer Gesellschaft.” (https://www.transparency.de/was-ist-korruption.2176.0.html)

Bevor ich das erste Mal nach Lateinamerika kam, hatte ich mir nie Gedanken gemacht um Korruption, ich dachte gar, dass es sie in Deutschland nicht gibt. Das ist natürlich ein Irrglaube und möchte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass Mexiko korrupt ist und Deutschland nicht. Ich denke, der Unterschied liegt in der Art und Weise der Korruption und in der Normalität derselben. In Deutschland kommt Bestechung, Schmiergelder und ähnliche schmutzige Geschäfte eher auf einer höheren Ebene – unter Managern, Konzernchefen usw. vor. Auβerdem habe ich die Illusion, dass die Politik davon nicht so stark betroffen ist wie die Wirtschaft. Ob das stimmt oder nicht, weiβ ich nicht, aber das ist ein weiterer Indikator für die Korruption in Deutschland: Sie geschieht im Stillen und Geheimen und weit weg vom Ottonormalverbraucher. In Mexiko ist das ganz anders:

Als Gus und ich auf unserer Hochzeitsreise im Bundesstaat Quintana Roo waren, hatten wir uns für ein paar Tage ein Auto geliehen und waren damit in den wunderschönen Süden des Bundesstaats gefahren. Nun mussten wir das Auto am Vormittag von Playa del Carmen zurück nach Cancún bringen um es wieder abzugeben und dann mit dem Bus weiterzureisen. Playa del Carmen und Cancún trennt eine gute Stunde Autofahrt und beides sind Touristenhochburgen die wir gerne meiden und nur wegen des Flughafens oder anderer Service nutzen. Wir waren also auf dem Weg nach Cancún mit genug Zeit um das Auto abzugeben und dann zum Busbahnhof zu gehen, als wir von einer Polizeistreife angehalten wurden. Angeblich war Gus 100 km/h gefahren, obwohl ja nur 70 erlaubt war. Was uns der Polizist erzählte, stimmte absolut nicht, wir waren mit 80 km/h unterwegs gewesen, nicht mehr. Aber in so einer Situation hat der Polizist nun mal Recht und man selber sollte lieber nichts sagen. Gus händigte also seinen Führerschein aus und fragte, wie es nun weiterginge. Der Polizist schockte uns mit der Aussage, Gus’ Fahrerlaubnis bliebe nun auf dem Polizeipräsidium, bis wir die Strafe dort bezahlten, das könnten wir in ein paar Tage tun. Diese Art der Bürokratie in DER Urlaubsgegend Mexikos schien uns unvorstellbar! Aber die Möglichkeit, den Führerschein zu behalten und die Strafe per Post zu den Behörden in unsere Heimatstadt zu schicken, gab es angeblich nicht. Also nahm sich Gus der Sache an. Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht genau weiβ, wie sich der Polizist und Gus geeinigt haben, aber Gus fragt immer sowas wie “Und können wir das nicht anders regeln?”. Ihr müsst wissen, dass dieses ‘regeln’ nie vor der Dame im Auto ausgehandelt wird, sondern man das auβerhalb des Wagens ‘wie Männer’ regelt. Gus kam also wenige Minuten später wieder, nahm wortlos 200 mexikanische Pesos (= 10 Euro) aus seinem Geldbeutel und gab diese dezent dem Polizisten. Beide schienen zufrieden und so machten wir uns von dannen.

In dem Moment dachte ich schon, dass der Polizist uns absichtlich aus dem Verkehr gezogen hatte mit dem Hintergedanken, uns Geld abzuzwacken, denn Leihautos haben in Quintana Roo kein Kennzeichen. Sie haben stattdessen ein Papier an der Rückscheibe kleben und sind entsprechend leicht zu erkennen zwischen vielen Autos. Aber gut, ich denke immer an das Beste im Menschen und hatte noch die Hoffnung, dass es ein doofer Zufall gewesen war.

Wenige Minuten später, als wir gerade an den Rand der Stadt Cancún kamen, winkte uns eine Motorradstreife rechts rüber und das Spiel fing von vorne an. Diesmal kamen wir mit 150 Pesos davon und während der letzten paar Kilometer fuhren wir nun übervorsichtig und wollten nur noch das Auto loswerden. Zweimal angehalten zu werden konnte nun wirklich kein Zufall mehr sein und ich machte mir klar, wie die Polizisten vorgingen: Sie suchten konkret Leihwagen, die auf dem Weg zurück nach Cancún waren. Natürlich, denn hier war der Flughafen und die Autovermietungen, die Insassen der Autos hatten es also in der Regel relativ eilig. Ich war mir sicher, dass wir den Polizisten verhältnismäβig sehr wenig Geld gegeben hatten, denn wer weiβ, wie viel zum Beispiel eine angespannte, verängstigte US-amerikanische Familie der Polizei gibt, wenn sie hören, dass ihr Führerschein einbehalten werden soll. Und ich weiβ nicht, ob das ein Faktor war, aber mein blondes Haar hilft in solchen Situationen auch nicht wirklich sondern lässt die Polizisten denken, sie können noch mehr kassieren.

Wir sehen also, dass Mexiko ein Land ist, in dem Korruption sich durch alle Ebenen von Machtstrukturen zieht. Wenn die obersten Politiker des Landes Millionen und Milliarden an Pesos, die dem Staat gehören, in die eigene Tasche stecken, warum sollte das dann ein kleiner Polizist nicht tun? Ich habe über den moralischen Konflikt nachgedacht, dass wir im Kleinen Korruption betrieben haben und ich bin absolut nicht zufrieden damit. Allerdings ist Korruption etwas stark verwurzeltes in der mexikanischen Mentalität und damit sich daran etwas ändert, muss der Wandel von oben kommen und die “groβen Haie” müssen es den “kleinen Fischen” vormachen. Was mich wirklich dabei stört ist die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. In Mexiko gibt es wie in vielen Schwellenländern nur eine kleine Mittelschicht und die Schere von Arm und Reich geht weit auseinander. Arme Menschen sind sehr arm und reiche sehr reich. Und dann nehmen sich die ohnehin schon sehr gut bezahlten Politiker, Polizeichefs und sonstige ‘wichtige Leute’ noch Milliarden an Pesos dazu, um sich ihre vierte Villa zu bauen oder sonstiges zu kaufen, wenn so viele Mexikaner an Hunger leiden oder sich keine medizinische Behandlung leisten können… Die Welt ist ungerecht.

 

 

 

Eine mexikanische Geburt

Seitdem ich in Mexiko bin, ist mir schon laenger aufgefallen, dass das ganze Thema der Gesundheit hier etwas anders angegangen wird als in Deutschland. In Mexiko gibt es viele Alternativen zur klassischen Schulmedizin, zum Beispiel Homöopathie, Naturheiler und Medizinmänner, Heilungen durch Energie und so weiter. Ich weiss, dass all dies auch in Deutschland gibt, aber in Mexiko ist es weiter verbreitet und mehr von der Gesellschaft akzeptiert als in meiner Heimat. Gleichzeitig gibt es in Mexiko auch viele Menschen, die sobald sie eine kleine Erkältung haben, Antibiotika nehmen und sich mit Medikamenten vollpumpen. Das ist für mich ein Gegensatz, den ich nicht ganz nachvollziehen kann, aber ich denke, es tritt hier wie bei so vielem das Gegensätzliche der mexikanischen Kultur auf: Die vorspanischen Völker wie Maya und Azteken hatten die natürlichere Medizin und noch heute wird diese am meisten in entlegenden Gegenden Mexikos praktiziert während die Europäer die ‘moderne’ Medizin nach Mexiko gebracht haben.

Vorgestern hatte ich die Gelegenheit, bei einer Geburt dabei zu sein: Gus und ich haben seine Schwester und Schwager und ihren Sohn ins Geburthaus begleitet, um bei der Geburt des zweiten Kindes dabei zu sein. Daisy und Uzziel bevorzugen definitiv die natürliche Seite der mexikanischen Medizin und hatten sich daher ein Geburtshaus ausgesucht und kein Krankenhaus. In Mexiko ist es nämlich so, dass bei der Geburt in einem Krankenhaus unheimlich oft ein Kaiserschnitt gemacht wird, obwohl das eigentlich gar nicht notwendig ist und der Arzt nur Geld verdienen moechte. Mexiko ist eines der Länder mit den meisten Kaiserschnitten weltweit. Während in Deutschland fast jede dritte Geburt ein Kaiserschnitt ist, erblickt die Hälfte aller Mexikaner auf diese Art und Weise das Licht der Welt (http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/fast-jede-dritte-geburt-in-deutschland-ein-kaiserschnitt-13802250.html; http://alianzasalud.org.mx/2014/08/mexico-el-pais-con-mas-cesareas-en-el-mundo-oms/).

Als die Wehen am Nachmittag gegen 18 Uhr einsetzten, machten wir uns also auf den Weg – die werdenden Eltern, ihr Sohn Enok (2,5 Jahre), ihre Hündin Cloe und Gus und ich – von Querétaro nach San Miguel de Allende (ca. 45 Minuten Fahrt). Das dortige Geburtshaus legt Wert auf natürliche Geburten und ist ein Zusammenschluss mehrerer Hebammen. Während der nun folgenden Wartezeit beschäftigten wir uns mit unserem Neffen und vertrieben uns so die Zeit. Das Haus war wirklich schön und wir merkten gleich, dass es hier sehr menschlich zuging. Auch unser Neffe Enok ist hier zur Welt gekommen. Mir gefiel vor allem, dass Cloe hier mit reindurfte. Zwar war die ‘Oberschwester’ nicht gerade begeistert, aber die für Daisy zuständige Hebamme sagte, wir sollten das nicht ernst nehmen und so blieb unsere vierbeinige Begleitung die ganze Zeit in Daisys Zimmer. Direkt neben ihrem Zimmer war der Entbindungsraum, wo Daisy sich auf eine Wassergeburt vorbereitete. Zu Beginn plantschte ihr Sohn da noch mit ihr drin rum und als es dann langsam ernster wurde, war der Kleine bei uns auf dem Arm. Es war tatsächlich ein volles Haus, denn wir waren zu neunt in einem relativ kleinen Raum – Daisy und Uzziel als Eltern im Wasserbecken, Cloe, eine Hebamme, drei (!) angehende Hebammen und Gus und ich, die sich mit Enok auf dem Arm abwechselten, der natürlich immer wieder versuchte, zu seinen Eltern zu kommen. Für mich war es erstaunlich, wie viele Menschen bei dieser Geburt anwesend waren! Mal ganz abgesehen von der Anwesenheit der Hündin, hatte ich doch bisher aus Deutschland nur gehört, dass prinzipiell eine oder zwei Begleitpersonen dabei sind und zudem nicht so viele Hebammen auf einmal. Auch ist es in Deutschland denke ich eher der Fall, dass die gröβeren Geschwister des Neugeborenen nicht anwesend sind, ja, erst gar nicht mit ins Krankenhaus kommen sondern zum Beispiel bei Oma und Opa bleiben wenn es soweit ist. Ich denke, es war eine gute Erfahrung für Enok, bei der Geburt seiner Schwester dabei zu sein. Zwar fing er am Ende, als Daisy bei den letzten paar Wehen vor Schmerz schrie, an zu weinen, aber das ist ja verständlich – wer will seine Mami schon so leiden sehen? Aber als die kleine Maus dann da war, war auch Enok ganz berührt und zufrieden, seine Eltern so glücklich zu sehen.

Um also nochmal auf die groβe Anzahl an Menschen, die bei der Geburt dabei war, zurückzukommen: Ich muss sagen, dass es mir richtig gut gefiel, dass die gesamte Kernfamilie beisammen war (mit Kind und Hund). Gus und ich waren als Helfer auch durchaus nützlich für Daisy und Uzziel (was zu Essen und zu Trinken kaufen, Enok unterhalten, Fotos machen usw.), auch wenn wir uns selber manchmal ganz schön unnütz und hilflos fühlten. Und irgendwie ist es ja auch ein gutes Zeichen, wenn so viele angehende Hebammen dabei sind, denn das bedeutet doch, dass es Nachwuchs gibt in diesem Beruf, der Beruf an sich ansprechend ist und das ist ja bekanntlich in Deutschland ein Problem.

Als dann kurz vor Mitternacht die kleine Maus endlich da war, verstand ich ein bisschen besser, dass 1 + 3 Hebammen dabei waren – in dem Moment, als Aleph das Licht der Welt erblickte, ging alles so schnell und jede von ihnen machte irgendetwas – Nabelschnur durchschneiden, Kind einpacken, Wasser und Schleim aus dem Rachen holen, ihr Sauerstoff unter die Nase halten usw. Wenige Momente später war sie dann bei ihren Eltern, die genau wie wir vor Freude weinten. Was für ein wunderschöner Moment! Dann durften auch Gus und ich unsere ‘frische’ Nichte im Arm halten und Enok durfte endlich zu seinen Eltern.

Willkommen auf der Welt, Aleph!

 

 

Als weiβe Frau in Mexiko

Mexiko ist ein Land indem viele, viele Menschen auf ganz unterschiedliche Weise leben. Ich habe schon mal angesprochen, dass Mexiko ein sehr vielfältiges Land ist. In Bezug auf Haut- und Haarfarben ist das allerdings nicht der Fall. Natürlich gibt es hier und da einen Weiβen oder einen Schwarzen aber die allermeisten Mexikaner passen auf jeden Fall in das klassische Bild des Latinos oder der Latina: dunkle Haut, schwarze Haare. Ausserdem ein oft rundliches Gesicht (eher die Nachfahren der indigenen Einwohner), eine eher rundliche Statur und die Körpergröβe ist auch insgesamt auf jeden Fall niedriger als in Europa.

Dieses ‘kollektive’ Aussehen der Mexikaner kommt durch ihre Geschichte zustande: Die allermeisten Mexikaner sind Nachfahren von Mestizen. Mestizen sind die Kinder, die aus der Verbindung eines Spaniers (meist Männer) und eines Ureinwohners (meist Frauen) entstanden als Spanien Mittelamerika erobert hatte.

Was bedeutet das nun für mich, eine dunkelblonde, hellhäutige, 172 cm groβe, junge Deutsche? Während man sich in Deutschland mit diesen Attributen eher im Mittelfeld aufhält und nicht sonderlich auffällt, ja – sogar als Durchschnittsdeutsche durchgeht, zieht man in Mexiko garantiert die Blicke auf sich. Es ist sofort klar: “Die kommt nicht von hier.” Man fällt auf, das ist einfach so.

Alles im Leben hat Vor- und Nachteile, so auch hier: Manchmal will ich einfach nur in Ruhe gelassen werden und bin von den Blicken (und Sprüchen) genervt. Manchmal finde ich es witzig, zum Beispiel wenn ich jemanden in flieβendem Spanisch anspreche und ich in seinem Gesicht die Fragezeichen sehe: “Die spricht wie ich, aber sie sieht so anders aus.” Manchmal finde ich es unpraktisch, wäre gerne besser gegen die mexikanische Sonne geschützt und finde keine Schuhe in meiner Gröβe. Manchmal finde ich es blöd, von Menschen auf seine Hautfarbe und Herkunft beschränkt zu werden. Manchmal kann es gefährlich sein, denn meine Hautfarbe vermittelt vielen Mexikanern die Idee “Die muss viel Geld haben.”

Aber meistens ist es schön und bringt mir viele Vorteile: Es öffnet unheimlich viele Türen und Möglichkeiten, die Menschen sind nett und offen zu mir. Sie vertrauen den Ausländern merkwürdigerweise oft mehr als ihren Landsleuten. Ich treffe fast immer auf hilfsbereite Menschen und wenn man ehrlich interessiert fragt, weil man zum Beispiel etwas nicht verstanden hat, bekommt man auch eine ehrliche und gute Antwort. Man(n) hält an und lässt mich über die Straβe gehen und mir werden Türen offen gehalten. Ich kann sicher sein, in einer Menschenmenge von meinem Mann schnell gefunden zu werden und sorge für allgemeine Heiterkeit wenn ich denke, ich habe ‘ordentlich Farbe’ bekommen.